Die Hülle ist unscheinbar. Erst wenn man drinnen ist, sieht man, was für ein Schmuckstück die Alte Reithalle ist. Die Wände, dezent violett, gelb oder rot beleuchtet, präsentierte sich die Reithalle von ihrer besten Seite. Der Raum, viel grösser, höher als von aussen vermutet, ist imposant. Am Festival «Melody Aarau», das über Pfingsten zum ersten Mal durchgeführt wurde, ging es um diese inneren Werte.
«Melody ist nicht nur Klassik und Jazz, Melody ist alles», sagte der sympathische Festivalleiter Srdjan Vukasinovic in charmant gebrochenem Deutsch und umriss damit die musikalische Ausrichtung des neuen Festivals. Dabei veranschaulichte dies nichts besser als seine eigenwillige Interpretation von Vivaldis «Vier Jahreszeiten». Basis «seines Vivaldi» ist klassische Musik, aber allein schon das Akkordeon von Vukasinovic, dem Volks-Instrument par excellence, deutet auf einen nicht-elitären, folkloristischen Ansatz hin. Dem Virtuosen Vukosanovic geht es nicht um die reine Lehre, selbst Klassiker sollen sich in alle Richtungen bewegen und entwickeln. Unterstützt vom formidablen «Klassik Nuevo Orchestra» erweiterte der Akkordeon-Virtuose aus Serbien den Horizont der «Vier Jahreszeiten» mit unterhaltenden Abstechern in die Welt der Volksmusiken. Ein erster Höhepunkt.
Die Ausrichtung des Festivals ist geschickt gewählt, denn die Alte Reithalle ist als Mehrsparten-Projekt gedacht und soll den verschiedensten Genres und Stilen der Musikwelt Gastrecht gewähren. Oder wie es Regierungsrat Markus Dieth sagte: «Melody Aarau ist Musik für Menschen und Menschen für die Musik». Es ist ein Festival für alle, mit Musik für alle.
In dieses Konzept passt der Sänger und Gitarrist Raul Midón (52) wie kein anderer. Die «New York Times» nannte den blinden Amerikaner einen «eklektischen Abenteurer». «Egal ob Jazz, Soul, Latin, Brasilianisches oder Pop. Meine Musik braucht keine Kategorien. Sie ist mein kleines Universum», sagte er im Gespräch mit der AZ. In Aarau nun also Klassik. Nein, «Midón with Strings». Ein neues Abenteuer und eine Weltpremiere für Aarau, denn sein neues Album mit einem grossen Streichorchester erscheint erst im September. Die Feuertaufe mit originellen Arrangements für das famose «Klassik Nuevo Orchestra» gelang und wurde frenetisch beklatscht. Die Extraklasse Raul Midóns wurde auch in diesem neuen Kontext deutlich. Und doch: Die herausragenden Fähigkeiten des Sängers und Gitarristen kamen solo am besten zur Geltung. Aarau hat Raul Midón ins Herz geschlossen und er die Schweiz. Er könne sich «sehr gut vorstellen», verriet er uns im Gespräch, dass er sich hier «einmal zur Ruhe setzen» würde.
Was für Midón gilt, gilt auch für Carminho. Die 33-jährige Fado-Sängerin gilt als eine Erneuerin der melancholischen, portugiesischen Liedtradition, die sie formal und stilistisch erweitert – in Aarau um die sinfonische Dimension. Srdjan Vukasinovic hat für das Argovia Philharmonic geschmackvolle Arrangements geschrieben, die sich glücklicherweise nicht auf eine blosse Grundierung beschränken. Das ist reizvoll und sorgt für Abwechslung. Der Star des Abends war aber Carminho. Ihre dunkle, leicht angeraute, mächtige Stimme entfaltete eine emotionale Kraft, die in Aarau noch lange nachwirken wird.
Hochklassige Musik aus aller Welt, Kinderkonzert, Party mit der exquisiten Funkband Unique. Die erste Ausgabe von «Melody Aarau» hat die Feuertaufe mit Bravour bestanden. Aber auch die Alte Reithalle. Das Fazit: Für klassische Musik, transparente und zurückhaltend verstärkte Musik ist sie geradezu ideal. Die Euphorie in der Alten Reithalle war jedenfalls gross und das Melody Festival soll auf jeden Fall fortgesetzt werden. Nach der Renovation. Vormerken sollte man sich schon mal Pfingsten 2021.
Im Auftrag des Festivals begleitete smARTec die Erstausgabe von MelodyAarau als technischer Partner, zeichnete für Licht- und Audiodesign, Bühnenbau sowie sämtliche technischen Bauten im altehrwürdigen Gebäude verantwortlich und betreute die Produktionen vor Ort.
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